Das Scheidungskind ist eine Schlüsselfigur der bundesrepublikanischen Gegenwart. In einer Gesellschaft, in der Beziehungen und Ehen nicht mehr für die Ewigkeit eingegangen werden, kommt es immer öfter zur Situation, in der zwei Menschen sich etwas für einen Nachwuchs überlegen müssen, mit dem sie gemeinsam das Leben nicht mehr teilen wollen. Mit den Tücken der naheliegenden Lösung beschäftigt sich Alireza Golafshan in seiner Komödie „Alles Fifty Fifty“. Solches Halbehalbe legt die Symmetrie einer konventionellen Familienkonstellation ja nahe.
Erst einmal klingt es doch sehr plausibel, wenn das verbleibende Gemeinsame genau in der Mitte aufgeteilt wird. Was das praktisch heißt, wird gleich in der ersten Szene deutlich, in der die Eltern Andi und Marion in die Schule gerufen werden, weil ihr elfjähriger Sohn Milan einem Mädchen mit Erschießen gedroht hat – so jedenfalls könnte man eine Zeichnung deuten, die er angefertigt hat. Das ehemalige Paar sitzt nun also der Direktorin und einer jungen Schulpsychologin gegenüber und tut alles, um den Anschein zu erwecken, nicht die Ursache für Milans Probleme zu sein.
Nicht individuell und schon gar nicht gemeinsam als Scheidungseltern, die doch beim Projekt Kind weiterhin intensiv zusammenarbeiten. Golafshan holt aus diesem Schlagabtausch mit vier Personen das Optimum an Komik heraus. Am Ende steht ein Deal, von dem die Schule finanziell etwas hat, während Milan fast schon routiniert zur Kenntnis nimmt, das er wieder einmal davongekommen ist.
Der organisierte Exzess ist Konvention
Die paar hundert Euro sind für Andi und Marion das geringste Problem – beide sind erfolgreiche Anwälte in München. Er fährt mit gelbem Sportwagen vor, sie mit einem besonders massiven SUV. Auch so erkennt man unterschiedliche Temperamente. Für die Ferien müssen sie sich nun etwas überlegen, denn es gibt eine Terminkollision; fürs Fifty-fifty wäre es erforderlich, dass Marion etwas „schiebt“, aber gebuchte Flüge schieben auch reiche Menschen nicht gern.
Wie auch immer, im Ergebnis läuft es darauf hinaus, dass Andi und Marion und Milan (und Marions neuer Freund Robin) gemeinsam nach Apulien auf Urlaub fahren. Dort soll das Regime der Wechselbetreuung in makelloser Perfektion durchgezogen werden. Das scheitert gleich am ersten Tag, bei dem umstritten ist, ob er als Anreisetermin schon zum Urlaub zählt oder noch nicht. Eine klassische Fifty-fifty-Frage. Man kann es so sehen, aber auch anders.
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Alireza Golafshan wurde 1986 in Teheran geboren. Seine Lebenswelt ist München, sein Metier das kommerzielle deutsche Kino – von dem man sich lange Zeit nicht sicher war, ob es das über Doris Dörrie hinaus überhaupt gibt. Doch inzwischen ist der kurze Komödienboom der Neunziger verarbeitet, und es gibt eine neue Vielfalt an Stimmen und Entwürfen. Golafshan trat 2019 mit „Die Goldfische“ zum ersten Mal hervor, einer wilden Fahrt um eine Gruppe Behinderter und einen Schwarzgeldschmuggel.
2022 kam „JGA. Jasmin. Gina. Anna“ heraus: Drei junge Frauen fliegen nach Ibiza, wo eine Freundin die letzten Tage vor der Heirat zünftig begehen will. Das war deutlich nach amerikanischen Vorbildern gearbeitet, hatte aber im Detail sehr viel Sinn für das Leben von Singles in Deutschland und war an vielen Stellen sehr, sehr witzig. Längst sind Junggesellenabschiede, auf die das Kürzel des Titels auch verweist, keine Domäne von Männern mehr. Zugleich ist dieser organisierte Exzess aber auch eine hochkonventionalisierte Form geworden und damit etwas, das für eine Komödie reiches Material enthält.
Die großen Vorbilder
Mit „Alles Fifty Fifty“ geht Alireza Golafshan nun einen Schritt weiter. Er wagt sich nämlich an ein Genre, das in der goldenen Zeit Hollywoods enorme Bedeutung hatte: Zu solchen „comedies of remarriage“ gehören einige legendäre Titel wie etwa „The Philadelphia Story“ („Die Nacht vor der Hochzeit“).
Paare wieder zusammenfinden zu lassen, die sich zu früh oder aus untriftigen Gründen getrennt haben, das war natürlich auch ein Projekt einer Zeit, die sich noch gegen die Freizügigkeit des entfesselten Individualismus stemmte. Das Hollywood der Studio-Ära hatte eine radikale Agenda nur bei der Freilegung von extravaganten Triebschicksalen, arbeitete aber insgesamt an deren Einbindung in die herkömmlichen Modelle des Zusammenlebens. Und in dieser Spannung steht gerade die Filmkomödie auch heute noch: als ein klassisches Genre, das aus den Energien des Partikularen eine Form macht, die auf etwas Verbindliches zielt. Auf einen Gemeinsinn, der das Vereinzelte zusammenfügt.
In „Alles Fifty Fifty“ sind diese verschiedenen Positionen klar definiert. Andi und Marion stehen einander gegenüber, dazu kommt Robin, den sie in einem Fitness-Studio kennengelernt hat, wo er ihr Trainer war. Mit seinem Surfbrett bringt er ein wenig Slapstick in die noble Anstalt eines offensichtlich sehr teuren Resorts. Durch ein Loch in der Hecke entdeckt Milan dann eine andere Welt: einen Campingplatz, auf dem es deutlich weniger luxuriös zugeht, auf dem aber auch Freiheiten herrschen, die in der Wechselbetreuung sonst gern einmal zu kurz kommen.
Suche nach neuen Strukturen
Hier lässt Golafshan einen seiner Lieblingsdarsteller auftreten, Axel Stein, der einer im Grunde gescheiterten Existenz jede Menge Würde zu geben versteht. Auch alle anderen Rollen sind perfekt besetzt, nicht zuletzt die von Milan, der von Valentin Thatenhorst geradezu als ein Zeitbild heutigen Kindseins gespielt wird – zu Beginn umlagert von Apparaten, dann mit zügigen Freiheitsgewinnen. Und mit einer Autonomie, die besorgten Eltern nur ein Rätsel sein kann. Im Zentrum aber steht eine Paarung, die „Alles Fifty Fifty“ auch in die erste Liga des deutschen Starkinos hebt: die wunderbare Laura Tonke und Moritz Bleibtreu, von dem hier wieder einmal deutlich wird, dass er im komischen Fach viel besser aufgehoben ist.
Derzeit sucht das deutsche Kino nach neuen Strukturen, wie es die beträchtlichen öffentlichen Summen, die im System zirkulieren, sinnvoller einsetzen kann. Das neue Filmförderungsgesetz kann natürlich nicht definieren, was ein guter Film ist, aber versuchen, an eine Intelligenz anzuschließen, die aus der Geschichte des Kinos selbst erwächst: aus dem Versuch, den Widerspruch zwischen Erfolgsrezepten und künstlerischem Ausdruck aufzuheben. Alireza Golafshan ist dafür ein exzellentes Beispiel.